Gender und Gleichstellung in der Arbeit von Hochschulräten*: Hintergründe

Hochschulen erfüllen zahlreiche Aufgaben (Forschung, Lehre, Wissenstransfer, Weiterbildung, etc.) und sind dabei vielfältigen gesellschaftlichen Ansprüchen ausgesetzt. Das Aufgabenspektrum von Hochschulräten und ihre pluralistische Zusammensetzung tragen dem Rechnung. Zudem hat sich in der Steuerung des Hochschulwesens und in den Entscheidungsprozessen der einzelnen Hochschulen in den vergangenen Jahren ein wesentlicher Wandel vollzogen1. Die Einrichtung von Hochschulräten in fast allen Bundesländern ist selbst Ausdruck dieses Wandels der Hochschulgovernace. Ein Aspekt der veränderten Ansprüche und Aufgaben von Hochschulen ist die Herstellung tatsächlicher Gleichstellung von Frauen und Männern und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gender2. Dies betont auch der Ministerrat der Europäischen Union in seinen jüngsten Schlussfolgerungen zur "Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Forschungsraum" vom Dezember 2015. Der Rat fordert die Mitgliedsstaaten auf, durch nationale Aktionspläne insbesondere institutionelle Veränderungen einzuleiten, um sowohl die personelle Gleichstellung in allen Bereichen des Forschungssystems zu fördern, als auch die inhaltliche Geschlechterdimension in Maßnahmen, Projekte und Programme in Forschung und Innovation einzubeziehen.

In Bezug auf die Geschlechterverhältnisse hat in den vergangenen 20 Jahren ein grundlegender Wandel stattgefunden, den die Hochschulen bisher nur teilweise nachvollzogen haben. So war das 20. Jahrhundert von der Überwindung einer essentialistisch begründeten und rechtlich normierten Ungleichheit von Frauen und Männern bestimmt. Die Schritte der formalen und rechtlichen Gleichstellung reichten von der Einführung des Frauenwahlrechts und der Zulassung zu allen akademischen Graden, beruflichen Positionen und öffentlichen Ämtern bis zur Gleichstellung im Familienrecht und zur sexuellen Selbstbestimmung auch in der Ehe. Die formale bzw. rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern ist heute in Deutschland weitgehend verwirklicht. Dennoch bestehen starke Ungleichheiten fort, die auf mittelbarer und struktureller Benachteiligung beruhen.

Die wichtigsten Daten zur unterschiedlichen Teilhabe von Frauen und Männern in Hochschulen finden sie unter der Rubrik "Daten".
Weitergehende Informationen zum Stand der Gleichstellung in Deutschland bündelt das Expert_innengutachten zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.

Mit der Verankerung der "tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung" als Staatsziel im Grundgesetzes (GG) 1994, mit der Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz von Bejing 1995 und dem EU-Vertrag von Amsterdam von 1997 wurde die tatsächliche Gleichstellung bzw. die substantielle Chancengleichheit zur neuen politischen, rechtlichen und kulturellen Norm für die Gestaltung von Geschlechterverhältnissen.

Einen allgemeinverständlichen Überblick über die deutsche und die europäische Entwicklung der Grundlagen des Gleichstellungsrechts finden Sie hier.

Ebenfalls seit Mitte der 90er Jahre hat sich in der Geschlechter-/Genderforschung endgültig die Auffassung durchgesetzt, dass Geschlechterverhältnisse und -identitäten grundlegend kulturell-soziale und historisch wandlungsfähige Phänomene sind. Damit ist es möglich, die Ursachen mittelbarer und struktureller Benachteiligungen eingehend zu analysieren und gleichstellungsorientiert zu verändern. Durch ihren reflexiven und inter- bzw. transdisziplinären Charakter bietet die Gender-Forschung zudem vielfältige Potentiale für wissenschaftliche Innovation.

Eine informative Artikelserie zum fachlichen Stand der Gender-Forschung aus dem Tagesspiegel finden Sie hier.
Weitere Informationen zur quantitativen Verankerung der Gender-Forschung in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen finden Sie unter der Rubrik "Daten".

Um die unterschiedlichen Ansprüche und Rationalitäten, die bei der Bearbeitung von Gender- und Gleichstellungsfragen für Hochschulräte eine Rolle spielen, konzeptionell besser fassen zu können, greift das Projekt „Gender-Kompetenz für Hochschulräte“ auf den Ansatz der institutionellen Logiken3 zurück. Mit diesem Ansatz lassen sich Hochschulen als „pluralistische“ oder „hybride“ Organisationen verstehen, für die die Verortung in und der Umgang mit unterschiedlichen, teils konkurrierenden institutionellen Logiken den dauerhaften Normalzustand darstellen4. Mit Hilfe dieser Perspektive lassen sich die unterschiedlichen Rationalitäten von Hochschulratsmitgliedern einordnen. Auch veränderte gesellschaftliche Ansprüche zu Gleichstellung und Gender oder Gewichtsverschiebungen zwischen den unterschiedlichen Rationalitäten von Hochschulen (akademisch, juristisch-bürokratisch, (mikro-)politisch, ökonomisch)5 können beschrieben werden.

Tatsächliche Gleichstellung ist grundsätzlich nicht an eine der vier o.g. für die Steuerung von Hochschulen relevanten Logiken gebunden. Zahlreiche Institutionalisierungsschritte der Gleichstellungspolitik an Hochschulen in den 70er und 80er Jahren wurden vor allem durch wissenschaftspolitische Entscheidungen und entsprechende rechtliche Vorgaben oder Erfolgen in der innerakademischen Auseinandersetzung erreicht. In jüngerer Zeit ist es der Gleichstellungspolitik aber auch gelungen, im Rahmen neuer Steuerungsformen und Managementinstrumente gleichstellungspolitische Ziele und Maßnahmen zu verankern6. Für die durchgängige Berücksichtigung von Gleichstellung und Gender in der Arbeit von Hochschulräten können sowohl übergreifend normative als auch gute Argumente im Rahmen jeder der für Hochschulen relevanten vier Logiken angeführt werden.

Eine Übersicht über die institutionellen Logiken von Gender (Equality) und Hochschulgovernance sowie die Argumente für eine durchgängige gleichstellungsorientierte Gestaltung finden Sie hier.

Die zunehmende Verbindlichkeit der Norm tatsächlicher Gleichstellung drückt sich zum einen in zahlreichen hochschul- und gleichstellungsrechtlichen Regelungen der Bundesländer aus. Diese Reglungen zielen in erster Linie auf die Dimension personeller Gleichstellung auf allen Ebenen.

Übersichten zu rechtlichen Einzelbestimmungen der Bundesländer, die Gleichstellungsfragen in Hochschulen regeln, finden Sie unter der Rubrik "Rechtsgrundlagen".

Zum anderen wird die aktive Förderung personeller Gleichstellung und die Integration von Gender-Aspekten in Forschungsvorhaben zunehmend auch zu einem Standard der Forschungsförderung und die Bewertung von Hochschulen. Mit den Gleichstellungsstandards der DFG hat sich der wichtigste akademisch selbstverwaltete Drittmittelgeber der Bundesrepublik zu einer systematischen personellen Gleichstellung als Förderbedingung bekannt. Das CEWS führt regelmäßig eine Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten durch. Das Professorinnenprogramm des BMBF macht ein hochschulinternes Gleichstellungskonzept, das auch Maßnahmen zur Verankerung von Gender-Themen in Forschung und Lehre umfasst, zu einer Antragsbedingung. Das aktuelle Forschungsrahmenprogramm der EU Horizont 2020 verankert die personelle Gleichstellung und die Integration einer inhaltlichen Gender Dimension nicht nur im Antrags- und Bewilligungsprozess. Erstmals ist die Forschung zu institutionellen Gleichstellungsfragen im Wissenschaftsbereich auch ein eigenes Teilziel des Programms.

Ein systematisches Engagement von Hochschulräten für die Verwirklichung personeller Gleichstellung und die Integration einer Geschlechterdimension in Forschung und Lehre berücksichtigt also nicht nur legitime gesellschaftliche Ansprüche an eine moderne Wissenschaft. Es bietet auch strategische Potentiale für fachliche Innovation und für die Profilierung der eigenen Hochschule.

* gemeint sind intermediäre Beratungs-, Aufsichts- und Vermittlungsgremien an Hochschulen mit den gesetzlichen Bezeichnungen Hochschulrat, Kuratorium oder Stiftungsrat

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  1. Bogumil, J./Heinze, R. G. (Hg.) (2009): Neue Steuerung von Hochschulen. Eine Zwischenbilanz.
    Seeber M./Lepori, B./Montauti, M./Enders, J./de Boer, H./Weyer, E./Bleiklie, I./Hope, K./Michelsen, S./Nyhagen Mathisen, G./Frolich, N./Scordato, L./Stensaker, B./Waagene, E./Dragsic, Z./Kretek, P./Krücken, G./Magalhaes, A./Ribeiro, F. M./Sousa, S./Veiga, A./Santiago, R./Marini, G./Reale, E. (2015): European universities as complete organizations? Understanding identity, hierarchy and rationality in public organizations. In: Public Management Review, 17. Jg. (10), S. 1444-1474.
  2. Binner, K./Kubicek, B./Rozwandowicz, A./Weber, L. (Hg.) (2013): Die unternehmerische Hochschule aus der Perspektive der Geschlechterforschung. Zwischen Aufbruch und Beharrung.
  3. Friedland, R./Alford, R. (1991): Bringing Society back in: Symbols, practices and institutional contradictions. In: Powell, W. W. /DiMaggio, P. J. (Hg.): The New institutionalism in organizational analysis. S. 232-263. Chicago.
    Scott, R. W. (2014): Institutions and organizations. Ideas, interests, and identities. 4. Aufl. Los Angeles et al. Insb. S. 90ff.
    Thornton, P. H./Ocasio, W./Lounsbury, M. (2012): The institutional logics perspective. A new approach to culture, structure, and process. Oxford.
  4. Denis, J.-L./Langley, A./Rouleau, L. (2007): Strategizing in pluralistic contexts. Rethinking theoretical frames. In: Human Relations, 60. Jg. (1), S. 179-215.
    Schedler, K. (2012): Multirationales Mangement. Ansätze eine relativistischen Umgangs mit Rationalitäten in Organisationen. In: dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, 5. Jg. (2), S. 361-376.
  5. Schedler, K. (2012) FN 4; S. 366f.
  6. Landeskonferenz der Frauenbeauftragten an Berliner Hochschulen (Hg.) (2008): In der Vielfalt erfolgreich. Gleichstellungspolitik an Berliner Hochschulen. Insbesondere S. 16-35.
    Erbe, B. (2015): Haushaltssteuerung: Gleichstellung über Wettbewerb und finanzielle Anreize steuern. In: Schacherl, I./Roski, M./Feldmann, M./Erbe, B.: Hochschulen verändern. Gleichstellungspolitische Innovationen im Hochschulreformprozess. S. 71-111.
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